Himmelswiese auf dem Gottesacker
Jedes Jahr zu Ostern
blüht auf dem Neudietendorfer Gottesacker, eine Minute von unseren Büros in der „Alten Apotheke“ entfernt, hunderttausendfach der Sibirische Blaustern.
Der Gottesacker wird zu Ostern zur Himmelswiese. Schlichte Platten aus Sandstein liegen auf den Gräbern. Hier auf dem Gottesacker sind alle gleich, ob sie im Leben arm waren, ob reich, intellektuell oder von einfacher Bildung, im Leben laut oder eher still, fromm oder weniger fromm, früh gestorben oder hoch betagt. Auf dem Grabstein stehen nur der Name und die Lebensdaten: „Geboren“ und „Heimgegangen“. Damit ist das Wichtigste über jeden gesagt, der hier begraben ist: beim Namen gerufen, seit der Taufe schon Bürger in Gottes Reich und da schon angekommen, denn der Tod ist nicht das Ende, sondern der Eingang ins Leben. Darum werden hier, auf dem Gottesacker in Neudietendorf – wie an allen Orten, wo die Herrnhuter Brüdergemeine lebt – am Ostermorgen auch die Osterlieder über den Gräbern gesungen. „Auf, auf, mein Herz, mit Freuden, nimm wahr, was heut geschieht!“ – „Christ ist erstanden!“ – „Wir wollen alle fröhlich sein zu dieser österlichen Zeit, denn unser Heil hat Gott bereit.“
Wir alle sind „heimgerufen“, schon jetzt. Ob am Lebensanfang, mitten im Leben mit allen Leiden und Freuden, oder am Ende. Immer sind wir Heimgerufene. Heinrich Böll hat einmal gesagt: „Der Mensch in seiner Sehnsucht ist ein Gottesbeweis. Die Tatsache, dass wir alle eigentlich wissen - auch wenn wir es nicht zugeben -, dass wir auf der Erde nicht zuhause sind, nicht ganz zuhause sind. Dass wir also noch woanders hingehören und von woanders herkommen. Ich kann mir keinen Menschen vorstellen, der sich nicht - jedenfalls zeitweise, stundenweise, tageweise oder auch nur augenblicksweise - klar darüber wird, dass er nicht ganz auf diese Erde gehört. Die Sehnsucht, erkannt zu werden, führt in eine andere Welt.“
Ganz hier sein, ganz gegenwärtig und lebendig – und zugleich fühlen und wissen, dass ich noch woanders hingehöre und von woanders herkomme, immer schon heimgerufen sein, erkannt sein: Das ist Ostern. Die Himmelswiese steht in voller Blüte.
Matthias Rost
Arbeitsstelle Gottesdienst der EKM